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MAGAZINE


Berlin September 2013
Freiheit statt Angst - Demo gegen die Überwachung im Netz

Vor dem ersten Transparent fährt eine Frau mit langen weißen Haaren auf einem Liegerad, das mit Solar-Panelen ausgerüstet ist.

"Government control starts between your ears when you tell yourself what your masters told you"

An einem Schild ist ein Wlan-Modul angebracht, das über Hunderte Meter die Botschaft "Fuck the NSA" verbreitet. Und wer sich einloggt, kann die neueste Version eines Buches runterladen. Dessen Titel: "Serenität"

1. Die Hackerin

Elektra ist Mitglied einer der ältesten Berliner Hacker-Gruppen,
dem Chaos Computer Club

“Ich gehöre zur alten Generation von Hackern. Die Jüngeren sind mit Computern geboren worden. Die kennen sich aus mit Informatik und Programmierung, aber nicht mit der Elektronik. Bei mir ist das umgekehrt”


"Ich bin ein Radio-Freak”


"Schon mit 10 oder 12 habe ich angefangen, meinen Spaß mit elektromagnetischen Wellen zu haben"


Seitdem hat Elektra nie aufgehört an irgendwas herumzubasteln.

Als 2004 in vielen Teilen von Berlin ADSL noch nicht zur Verfügung stand, schlug sie der Freifunk-Community vor: man sollte drahtlose Mesh-Netzwerke bauen, um kostenlose Vernetzungen möglich zu machen. Das stieß auf Begeisterung.

Sie entwickelte die Mesh Potato, ein Gerät, das sich mit anderen seiner Art verbinden ließen, um ein kostenloses und alternatives Kommunikationsnetz aufzubauen.

Kommunikation via VoIP ist vor allem in südlichen Ländern bislang nicht sehr verbreitet, denn entweder die Netze sind zu langsam oder viel zu teuer. Also reiste Elektra durch Bangladesh und Südafrika, um ihre Erfindung vorzustellen und Leute damit vertraut zu machen. Mittlerweile gibt es so ein funktionierendes Netz in Südafrika.

Die Technologie ist umso interessanter, als in diesen Ländern nicht mal die Telefon-Kabel bis in alle Regionen reichen. Und Mobiltelefon-Netze sind immer noch viel zu teuer. Mesh Potato ist also eine ziemlich praktische Alternative unter solchen Bedingungen.

Elektra arbeitet an der Weiterentwicklung des Projektes. Sie testet drahtlose WLAN-Accesspoints von der Größe einer SD-Karte und versieht sie mit starken Wlan-Antennen. Diese Lösung ist wartungsarm und energiesparend, ermöglicht aber einen guten Datendurchsatz.

Nebenbei macht sie bei einem Buchprojekt mit, unter dem Titel: Wireless networking in the developing world, das man inzwischen in sieben Sprachen aus dem Netz laden kann. Die zweite Ausgabe wurde allein mehr als 2 Millionen Mal herunter geladen.

2. Der Bauwagenplatz

Der Bauwagenplatz ist eine besetzte Fläche, auf der die Leute in Lastern und Anhängern in einer Gemeinschaft leben.

Es gibt noch rund 14 Plätze dieser Art in Berlin. Der von Elektra liegt mittendrin - in Friedrichshain. Wahrscheinlich ist er in Berlin auch der bekannteste und findet sich schon in manchen Touristenführern.

Ungefähr 10 Leute leben hier und teilen sich die gemeinsamen Einrichtungen. Am Eingang steht eine 'Free-Box' wo man gebrauchte Sachen hinterlassen oder kostenlos mitnehmen kann. Es gibt eine Volksküche am Mittwochabend, es gibt Solar-Strom, generell viel Respekt vor der Natur, Filmabende, offene Werkstätten.

Die Gruppe gründete sich 1996. Auf diesem Platz besteht sie schon seit 2001. Nach einigen Wochen des politischen Kampfes – wegen drohender Räumung durch Polizei-Hundertschaften – erstritt sich die Wagenburg schließlich die Genehmigung des Bezirks, die Fläche weiter zu nutzen.

Allerdings ist es immer noch möglich, dass sich politische Verhältnisse ändern und die Vertreibung droht. Aber bis dahin geht das Leben erstmal seinen Lauf.


"Ich fühle mich näher an der Natur"



Elektra kann es sich nicht mehr vorstellen, in einer festen Wohnung zu leben. Der Bauwagenplatz liegt mitten in Berlin, aber trotzdem ist man draußen an einem wilden Ort, mit viel Natur, bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit.

Sie ist ihre eigene Herrin in dieser Umgebung: repariert selbst, was ihr Wagen nötig hat, produziert ihren eigenen Strom, und... "ch bade in einer großen Mörtelwanne, wenn ich das Wasser vorher heiß gemacht habe".

Man muss seine Gewohnheiten eben anpassen. Zum Beispiel im Winter. Da benutzt Elektra ein kleines Notebook, das besonders wenig Energie verbraucht. "Mit dem kleinen Rechner kann man keine großen Bilderstrecken oder komplizierte Aufgaben bearbeiten, aber für die wichtigsten Dinge reicht er"..

Es kommt auf Kleinigkeiten an. Und es sind nicht die Einschränkungen, sondern eher gute Momente, die ihr das Gefühl geben, am richtigen Ort zu sein. Und vor allem frei zu leben.

3. Lebensphilosophie

Es geht darum, der weltweiten Überwachung zu entkommen, Kommunikationsformen zu entwickeln, die frei sind und dem eigenen Leben entsprechen, Elektras Engagement zielt darauf ab, sich gegen jede Art von Unterdrückung und aufgezwungene Machtverhältnisse zu wehren, die eigene Existenz in die eigene Hand zu nehmen.

Irgendwie ist das gar keine bewusste Entscheidung gewesen. Man hat keine Wahl, wenn alle Aktivitäten aus einem innerem Antrieb geschehen.

Sie macht einfach, was sie gerne tut. Und sie tut, was sie mag. Insofern haben alle Dinge auch miteinander zu tun. Als Reflex auf eine einzige Person: sie selbst nämlich.

Mittlerweile fokussiert sich das auf einen fundamentalen Gedanken, den sie in Büchern und im täglichen Leben verbreiten möchte: Ihre Philosophie

die "Serenität"

Das Prinzip ist relativ einfach: es geht darum, man selbst zu sein. Aber um dahin zu kommen, müssen wir uns klarmachen, dass wir uns selbst manipulieren. Oder auch ständig manipuliert werden.

Die Gesellschaft erwartet von uns eine bestimmte Art der Anpassung. Unser Umfeld erwartet, dass wir so sind, wie es erwartet wird. Und ohne dass wir es merken, reden wir auch noch mit uns selbst, z.B. um rauszukriegen, was zu tun ist oder wie man sich im Alltag benimmt.

Diese innere Stimme verwechseln wir mit bewusstem Nachdenken, ohne uns klarzumachen, dass diese Stimme in unserem Kopf gar kein eigenes Denken darstellt, sondern nur ein eingebildetes Denken.

Zu Erklärung hier ein Lieblingszitat von Elektra :

« Die Tatsache, dass man im Gehirn spricht, bedeutet nicht, dass man denkt sondern nur, dass man redet »



Es gibt eine einfache Lösung: aufhören mit sich selbst zu reden, aufhören zu denken.

Das Gehirn hat überhaupt keine Hilfe nötig beim Denken, es macht das schon von allein. Genau so wenig, wie es nötig ist, mit seiner Leber zu sprechen, damit sie ihre Arbeit tut, braucht man auch nicht mit seinem Gehirn zu reden. Lassen wir unsere Gehirne selbständig arbeiten und hören wir auf, darüber nachzudenken.

an befreit sich von unbewussten Manipulationen, wenn man sich die Selbstgespräche spart, und außerdem gelangt man so in einen Zustand der inneren Ruhe.

Der Großteil täglichen Übels wird verschwinden: Kopfschmerzen, Aggressivität, Intoleranz. etc.



Dieser Zustand persönlichen Wohlbefindens findet sich seit jeher in allen möglichen Philosophien. Elektra hat eine etwas eigene Art präsent: vom Buddhismus über Eckard Tolle bis hin zu animistischen Religionen.

Jede Aussage steht für ihre Idee hinter diesem Code. Mit verschiedenen Lösungsansätzen, aber alle mit demselben Ziel: sich von jedem überflüssigen Gedanken zu befreien, sich selbst kennenzulernen und sich so zu benehmen, wie es der eigenen Weltsicht und den eigenen Bedürfnissen entspricht.


"Ich möchte eine Revolution anzetteln im menschlichen Geist"


Elektra verbreitet ihre Botschaft auf eine Art, die ihr entspricht. Und mit den Worten, die ihr eigen sind. Ohne jede religiöse Moral dahinter.

Sie kommuniziert auf verschiedenen Kanälen: via Twitter, in copyright-freien Büchern zum Runterladen, und mit einer Solo-Show im Kabarett.



"Wenn alle sich so verhalten könnten und aufhören würden, der Stimme in ihrem Kopf zuzuhören, dann wäre die Welt um Einiges schöner und auch einfacher"

Wenn Elektra gefragt wird, warum sie ihre Weltsicht verbreiten möchte, kommt eine simple Antwort :

« Mein Ziel ist doch komplett egoistisch. Ich würde lieber in einer Gesellschaft leben, in der die Leute nicht mit sich selbst reden, weil das Leben dann viel angenehmer wäre.

Außerdem tun mir die Menschen leid, die sich von anderen manipulieren lassen und nur fremde Ideen weitertragen.

Ein Beispiel: es gibt diese fixe Vorstellung, die Wirtschaft wäre das Allerwichtigste, egal was kommt… Die Bankenrettung hat wer-weiß-wieviele Milliarden Euros verschlungen. Wir retten Banken, aber wir retten keine Menschen! Wir haben mehr Mitgefühl für irgendwelche Banken als für die Armen in dieser Gesellschaft. Das ist doch völlig absurd . »



Für weitergehende Informationen…


Ihr findet Elektra über ihre Internet-Seite : dogmatic-podcast.info oder bei twitter unter : @elektra_42

Wer etwas mehr wissen möchte, über die Philosophie der Hackerin mit den langen weißen Haaren, möge sich nach den Werken von Thich Nhat Hanh "La sérénité de l'instant", und Eckart Tolle umsehen.


Eine Geschichte von…


Benoit und Hélène waren im August/September 2013 in Berlin, um für die nächste SideWays-Episode zu recherchieren. Dort trafen sie Andrea, eine Dokumentarfilmerin, die ihnen wiederum Elektra vorstellte.

Deren Persönlichkeit und Weltanschauung waren eine echte Motivation, mit diesem ersten Portrait einer ganzen Serie zu beginnen. Für SideWays schienen ihre Themen ja wie gemacht zu sein. Die Grundlagen des Buddhismus und der Meditation waren den beiden vertraut, aber dass sich diese Einflüsse auch in den Worten einer Hackerin wiederfinden, ist doch wirklich inspirierend.

Zurück in Frankreich – und bereits in den Vorbereitungen für die dritte Episode – haben Benoit und Hélène noch an der Redaktion und am Layout der Seite gearbeitet.

Helene Hecke hat freundlicherweise diese deutsche Übersetzung geliefert.

Finanzierung und Beiträge


Das Projekt soll sich grundsätzlich selbst finanzieren. Falls ihr unsere Arbeit unterstützen möchtet, könnt ihr euch gern am Crowdfunding für diese nächste Geschichte beteiligen. Wir würden uns sehr darüber freuen.

Weitere Informationen über unser alternatives Finanzierungsmodell findet ihr in französischer Sprache auf folgender Seite.